Verstört und verstörend
Die
Musik: Wie mit dem Zirkel gezogen. Klare Gitarrenlinien, allerlei Percussion,
ein programmiertes Schlagzeug und immer wieder tragende Keyboardsounds.
Kunstmusik. Progpop. Der Gesang: Eine authentische Pose im vermeintlichen
Widerspruch zwischen theaterhafter Künstlichkeit und gefühlvoller Ansprache.
Jenseits von jeglichem Authentizitätsgesäusel ist in jedem Ton klar, hier
werden Gefühle dargestellt, ja, nachgestellt und nicht ihr aktuelles
Durchleben vorgetäuscht. Keine hohle Echtheit sondern ehrliche Kunst. Und
einfach klasse Songs.
So pendelt der an
südamerikanische Musiktraditionen gemahnende Opener "Faithless liar" zum
Beispiel spannungsreich zwischen Easy Listening und eindringlicher
Beschwörungsmesse. "Fundamental Mistake" verbindet beste Momente aus
Notwist-Melancholie und dem Pathos alter Höllenfeuerballaden von Blind
Guardian. Am eindrucksvollsten gelingt "Willing". Eine
Radiohead-Gitarrenfigur zieht einen strudelartig in den Song und Sänger
a.kain kramt beinahe besinnungslos in gesellschaftlichen und persönlichen
Untiefen. Verstört und verstörend. Gegen Ende ist das schamanenhafte
Flüstern, das bedeutungsschwangere Pathos dann beinahe zu viel. Man sehnt
sich nach Sonne, nach Wärme, will die Unwirtlichkeit der sezierten
Wirklichkeit hinter sich lassen. Aber a.kain/migel stürzen einen nur
noch tiefer in die Tiefe. Dorthin, wo die arroganten Winde wehen. Oder wie
es Conor Oberst von der Band Bright Eyes ausdrückt: "At the bottom of
everything". Doch auch das reicht a.kain nicht. Er muss weiter kratzen,
weiter graben. Tiefer. Immer tiefer. Bis die Hände brechen.
Tobias Mull
Quelle:
Peiner
Allgemeine Zeitung, 01.
Februar 2005
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Geteiltes Leid
"where arrogant wind
blows": a.kain und migel entdecken die für sie perfekte
Zusammenarbeit
Am Anfang von "where arrogant wind blows" stand zwei Mal Frustration. Das
Ende des ehrgeizigen Rockprojektes Concrete Underpass auf der einen Seite
und das Ende der Salzgitteraner Hardcoreband Tse auf der anderen. Es sollte
noch ein paar Jahre dauern, ehe Concrete-Sänger a.kain und Tse-Bassist
migel zusammenfanden, um ein gemeinsames Album aufzunehmen. Aber ohne
die für beide ernüchternden Erfahrungen als Bandmusiker wäre "where arrogant
wind blows" nicht so kompromisslos und experimentell geworden.
Der 36-jährige migel spricht nicht gern über seine Musik. Die
Öffentlichkeitsarbeit ist a.kains Sache, Familienvater, Doktorant,
Performancekünstler und jetzt auch wieder Rocksänger. Die Musik hatte zu
Zeiten seiner ehemaligen Band einen größeren Stellenwert in seinem Leben.
"Ich hatte keine Lust mehr auf die stundenlangen Diskussionen im
Übungsraum", erklärt der 35-Jährige Woltwiescher und fügt hinzu: "Es ist
fast nicht möglich, kompromisslos Musik zu machen und damit Geld zu
verdienen." Jetzt sei er zu alt, um noch Rockstar zu werden. Aber er ist
immer noch liebend gern bereit dazu, Songs nur für ein kleines Kultpublikum
zu machen. Da hat sich nichts geändert zu früher.
Einige finden, die zehn Songs auf "where arrogant wind blows" ähneln
Metal-Balladen. Diesen Vergleich hält a.kain für unpassend. Die Songs sind
sehr ruhig, sehr feingliedrig, sehr düster, verschwommen, perlende Gitarren,
Kopfstimme, beschwörendes Flüstern, Drumcomputer. Es geht um Schuld, Betrug,
Träume. "Die Produktionsphase war durch Schicksalsschläge geprägt", sagt der
Sänger. Tod von lieben Menschen. Mit Metal hätten diese Stücke nichts zu tun
- und auch nichts mit der harten, vertrackten Musik von Concrete Underpass
oder mit Tse. Mehr mit Bauhaus und Joy Division und den anderen Düsterbands
der frühen Achtziger, a.kains Helden.
Wahrscheinlich kann man nur so gelassen zusammenarbeiten, wenn man die
Streitigkeiten im Übungsraum und das Anreden gegen lärmende Gitarrenwände
lange mitgemacht hat. Die Songs entstanden in einem "intellektuellen
Musikmachprozess" (a.kain). Der zurückhaltene migel spielte alle
Instrumente selbst ein, programmierte die Drumsounds und brachte dem Sänger
die fertigen Songs. Kain schrieb die Texte und erfand die Gesangmelodien. So
einfach, wie es sich anhört, soll es auch gewesen sein. Kein Streit, keine
Kompromisse. Die perfekte Zusammenarbeit, beschwören beide. Und a.kain
stellt klar: "Wir sind keine frustrierten Ex-Bandmusiker, sondern nur
anspruchsvoll."
Mathias Begalke
Quelle:
Peiner
Allgemeine Zeitung, 01.
Februar 2005
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